Fünf Jahre nach dem Aufstellungsbeschluss kam die Regionalversammlung Mittelhessen am 9. November 2016 im Kreishaus in Marburg zusammen, um den Teilregionalplan Energie Mittelhessen zu verabschieden. Der Plan dient dem Ziel, bis zum Jahr 2050 100% des mittelhessischen Energiebedarfs (ohne Verkehr) aus regenerativen Energiequellen gewinnen zu können. Dazu weißt er Vorranggebiete für Windenergie aus und benennt Suchräume und Vorbehaltsflächen für andere Energiequellen.
Der Vorsitzende der Regionalversammlung, Klaus Weber (SPD), eröffnete die Sitzung mit Lob für die Verwaltung und der offenherzigen Einschätzung, dass ihm durchaus bewusst sei, dass auf manchen der ausgewiesenen Flächen „kein Wind“ sei. Warum er diese Flächen dann dennoch im Plan beließ, blieb jedoch sein Geheimnis.
Stellungnahme der Verwaltung
Regierungspräsident Christoph Ullrich erinnerte daran, dass zwar jeder seine eigene Meinung haben dürfe, dass jedoch die mehrheitlich getroffene Entscheidung zu respektieren sei. Weiterhin wies er darauf hin, dass die im Regionalplan ausgewiesenen Flächen grundsätzlich für Windkraft geeignet seien, jede beantragte Anlage aber trotzdem ein BImSch-Verfahren durchlaufen müsse. Was für die Ausbau-Gegner hoffnungsvoll geklungen haben mag, ist jedoch ein zahnloser Tiger. Letztlich hat der Teilregionalplan das „ob“ einer Windkraft-Baumaßnahme schon positiv entschieden, lokal ist nur noch das „wie“ zu lösen. Es ist nicht zu erwarten, dass in einem Windkraft-Vorranggebiet das BImSch-Verfahren eine Windkraftanlage zu Fall bringen wird.
Landesplaner Ivo Gerhards erläuterte, dass noch bis gestern Abend Hinweise zu sechs Vorranggebieten eingegangen seien, die man auch kurzfristig geprüft habe – sie aber keine Veränderungen am Teilregionalplan bewirkt hätten. Immerhin stellte der Planer fest, dass mit 3.800ha Fläche nun 3% der Landesfläche im Landkreis Marburg Biedenkopf beplant sei und das es sich dabei natürlich auch um eine Flächenvorsorgeplanung handele. Die Perspektive, auf diesen Flächen bauen zu können, soll bis zum Jahre 2050 gelten. Gänzlich unerwartet kam von Seiten des Planers dann noch der Hinweis, dass die Flächenauszeichnung noch unter dem Vorbehalt der Flugsicherung stünde, die sich offenbar noch nicht endgültig zur Planung geäußert hat. Abschließend unterstrich er, dass alle Probleme, die im Rahmen der Planung erkannt wurden (wie bspw. Denkmalschutz, Windhöffigkeit) mit der Verabschiedung des Teilregionalplans als „gelöst“ gelten. D.h., die Flächen sind grundsätzlich für Windkraft geeignet, hier sei eine „Schwarz-Weiß-Planung“ geschaffen worden.
Stellungnahmen der Fraktionen
Werner Hesse (SPD) betonte für die SPD, dass es nicht auf die ausgewiesenen Flächen ankäme sondern darauf, wie viel Energie aus diesen Flächen gewonnen werden könne. In seinen Ausführungen machte er deutlich, dass, wenn aus der aktuellen Flächenplanung nicht genügend Energie gewonnen werden könne, letztlich die Ausschlusskriterien für die Flächensuche aufgeweicht werden müssten. Ferner wünschte sich die SPD mehr Möglichkeiten beim Repowering. Außerdem bedauerte der SPD-Fraktionsvorsitzende, dass er gerne die Interessen der Kommunen stärker im Plan berücksichtigt hätte, aber dafür leider „die Instrumente gefehlt hätten“. Trotz aller Sorgen die mit dem Plan verbunden sind, trägt ihn die SPD jedoch mit, da man die Schutzwirkung für die Flächen außerhalb der Vorranggebiete als besonders wichtig erachte.
Robert Fischbach sprach für die CDU und lobte die vorbildliche Beteiligung der Öffentlichkeit an der Planung. Er sprach vom „Gespenst der dritten Offenlage“, ließ aber auch durchblicken, dass der politische Wille auf allen Seiten gegeben war, dass es nicht so weit kommen solle. Er ließ weiterhin erkennen, dass auch er Zweifel an ein paar Flächen im Detail habe und beantragte, dass über die Vorranggebiete VRG4104 (Biebertal) und VRG3105 (Todenhausen-Mellnau) separat abgestimmt werden solle. Er schloss seine Ausführungen mit der Bemerkung, dass alle Beteiligten im Prozess der Erstellung des Teilregionalplans „jeden Tag klüger werden können und mit dieser Klugheit ein Abweichungsverfahren“ zum Teilregionalplan geführt werden könne.
Für die Grünen sprach Karsten McGovern, der seine Rede damit eröffnete, dass am Tag der Verabschiedung des Teilregionalplans gleichzeitig ein Leugner des Klimawandels Präsident der USA geworden ist. Er verwies darauf, dass, um das gesetze Ziel (100% regenerative Energie bis 2050) erreichen zu können, noch weit mehr Windenergie benötigt wird, da insbesondere bei der Gewinnung von Energie für Wärme noch ein langer Weg zurückzulegen sei. Auch brachte der Grüne ein Dilemma auf den Punkt: Windhöffigkeit und Artenschutz kollidierten mehrfach hart in der Planung – eine Abwägung, mit der nicht nur die Grünen unglücklich waren. In aller Offenheit benannte McGovern, dass er nicht glücklich darüber ist, wie schwer manche Entscheidung von außen nachvollziehbar seien. Dabei benannte er explizit das Windvorranggebiet 3105 (Todenhausen-Mellnau), dass u.a. trotz einer negativen Windmessung im Plan geblieben ist. Das die betroffene Gemeinde hiergegen klagen werde, sei ihm „völlig klar“. Leider stimmten die Grünen in der anschließenden Einzelabstimmung zu dem betroffenen Gebiet gegen die Herausnahme aus dem Plan – wodurch die Klage überhaupt erst erforderlich werden wird.
Für die Freien Wähler machte Friedel Kopp klar, dass seine Fraktion dem Teilregionalplan von Anfang an kritisch gegenüber stand, da Bund und Land kein Gesamtkonzept für den Wandel von der Atomenergie zu regenerativen Energien gehabt hätten. Im übrigen erfülle der Regionalplan zwar formal die Kriterien der Landesregierung, die Energiewende sei damit aber nicht zu schaffen. Auch er bemängelte die mangelnden Möglichkeiten des Repowerings und bedachte auch das VRG 3105 mit ein paar Worten. Die Fläche sei seiner Meinung nach ein „Grenzgebiet“, auf das man durchaus auch hätte verzichten können, wenn nicht bereits im Vorfeld so viele andere Flächen ausgeschlossen worden wären. Er prophezeite, dass „nicht wenige Anlagen“ am Widerstand vor Ort oder aufgrund fehlender Windhöffigkeit scheitern werden. Abschließend stellte er für seine Fraktion fest, dass man sich vom Teilregionalplan deutlich mehr erhofft habe und sich daher bei der Verabschiedung des Plans enthalten werden.
Beiträge einzelner Mitglieder
Im Anschluss an die Stellungnahmen der Fraktionen folgten noch vier Wortbeiträge einzelner Mitglieder. Ein Mitglied der SPD kündigte an, nicht mit der Fraktion stimmen zu wollen, da der Teilregionalplan einer Verhinderungsplanung sei.
Ein weiteres SPD-Mitglied (Gehard Schmidt) verwies darauf, dass nur 25% der Flächen im Plan gute Windhöffigkeit (>6,25m/s) hätten und dadurch der Druck auf windschwächere Gebiete sehr hoch gewesen sei. Die Ziele der Energiewende seien dadurch verfehlt. Kritik wurde auch am Landesplaner laut, da einzelne Fachentscheidungen (offenbar aufgrund schwerlicher Nachvollziehbarkeit) nun auf der politischen Ebene beurteilt werden müssten. Schmidt kündigte an, sich bei der Verabschiedung des Gesamtplans zu enthalten.
Jeweils eine Stimme kam zum Vorrangebiet bei Biebertal und Braunfels zur Sprache. Die Redner trugen ihre Bedenken gegen die jeweiligen Flächen vor, scheiterten in der Abstimmung aber jeweils am Block aus SPD und Grünen.
Einzelabstimmung zum VRG 3105
Es gab keine Fürsprache oder Diskussion zu dem Gebiet, der Vorsitzende ließ direkt über Robert Fischbachs Antrag abstimmen, ob das Gebiet im Plan bleiben solle. Die Einzelabstimmung fiel im Ergebnis negativ für Wetter aus: aus den Reihen der CDU stimmten drei Mitglieder gegen den Verbleib des Gebiets im Teilregionalplan, vier weitere (darunter die Freien Wähler) enthielten sich. Grüne und SPD stimmten für den Erhalt des Windvorranggebiets.
In der finalen Gesamtabstimmung wurde der Teilregionalplan Energie Mittelhessen einstimmig bei vier Enthaltungen angenommen. Die Enthaltungen kamen aus dem Block der Freien Wähler.
Konsequenzen für das VRG 3105
Aus Wetteraner Sicht gibt es jetzt drei Optionen:
- Im Umkreis von 15km um einen Flughafen dürfen keine Windräder stehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 7.4.2016 abschließend geklärt. Es sollte daher zeitnah geklärt werden, ob die Deutsche Flugsicherung (DFS) respektive das Bundesaufssichtsamt für Flugsicherung sich zu unserer Fläche schon geäußert hat. Laut Google Maps beträgt der Abstand zwischen Flughafen und Windkraftfläche in der Luftlinie weniger als 9km.
- Sowohl der Vorsitzende der Regionalversammlung als auch der Altlandrat haben in der Versammlung darauf hingewiesen, dass beim Regierungspräsidium „Zielabweichungsverfahren“ beantragt werden können. Diese Verfahren sollen dazu dienen, Erkenntnisse, die noch nicht in den Plan eingeflossen sind, in einem strukturierten Verfahren aufnehmen zu können. Da die Nicht-Anerkennung der Wetterschen Windmessung zumindest fragwürdig ist und das ja offenbar auch bei den politischen Vertretern gesehen wurde, ist hier noch Raum für Gesprächsbedarf. Sollte das Argument nicht verfangen, wäre weiterhin denkbar, eine neue Windmessung durchzuführen – dann halt über das ganze Jahr 2017.
Neben der Windhöffigkeit und dem Denkmalschutz könnte außerdem auch das Thema Wasserschutz von Belang sein, was Martin Hanika (CDU) im Kontext mit der VRG 4104 als Argument vorbrachte.
- Klage gegen den Regionalplan: Damit eine Klage Aussicht auf Erfolg hat, muss nachgewiesen werden, dass das Regierungspräsidium bei der Aufstellung des Plans einen Fehler im konkreten Einzelfall oder eine Ungleichbehandlung begangen hat. Einen objektiv nachvollziehbaren Fehler wird man der Behörde nicht nachweisen können, eine Ungleichbehandlung hingegen schon. Im Punkt 2 des im EULI angenommenen Beschlusses Drucksache VII/102 wird festgelegt: Bestandsschutz haben alle vor der 2015er Offenlage des Teilregionalplans durchgeführte Messungen auf Basis von TR6 Rev. 8, für die Gutachten bis zum TRPEM 2015 vorgelegt wurden. Keinen (!) Bestandsschutz aber haben vor TRPEM 2015 durchgeführte Messungen auf Basis von TR6 Rev. 8, für die Gutachten nach TRPEM 2015 und vor TRPEM 2016 nachgereicht wurden. Hierfür ist kein sachlicher Grund erkennbar. Klagebereichtigt ist in jedem Fall die Gemeinde Wetter.
Ausblick
Unabhängig vom Abstimmungsverhalten zum VRG 3105 haben letztlich alle Fraktionen dem Teilregionalplan Energie Mittelhessen zugestimmt, da sie befürchteten, dass weitere Herausnahmen von Flächen aus dem Plan eine erneute Offenlage nötige gemacht hätten – wodurch sicherlich ein weiteres Jahr ins Land gegangen wäre. Die Fehlentscheidungen im Detail wurden billigend in Kauf genommen, getreu dem Motto: Augen zu und durch.
In diesem Sinne steht zu erwarten, dass die drei verbliebenen Optionen genau in dieser Reihenfolge abgearbeitet werden sollten: Die erste Adresse ist die Flugsicherung. Sollte das nicht fruchten, muss juristisch beurteilt werden, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat. Falls das gegeben ist, könnte der Umweg über das Zielabweichungsverfahren möglicherweise helfen – falls das schnell genug geht, ohne das Wetter Gefahr läuft, dass die Klagefrist verstreicht.
Die Schwere der Entscheidung ob des Teilregionalplans war Teilen der Regionalversammlung deutlich anzumerken. Die meisten werden im guten Willen gehandelt haben, wohl wissend, dass sie im Falle des VRG 3105 eindeutig gegen die Ziele der Landesplanung (5,75m/s), die Interessen der Bevölkerung und die gesamte politische Führung votiert haben. Diese Entscheidung nutzt weder der Energiewende noch dem langfristigen Ziel, sie schadet jedoch den Leuten vor Ort. Es liegt jetzt an der Gemeinde, diese Entwicklung zu korrigieren.
Positiv bleibt für den heutigen Tag zu vermerken, dass der gemeinsame Protest von Magistrat, Fraktionen, Ortsbeiräten und der BI in allen Teilen der Regionalversammlung gehört. Drei von vier Fraktionen erwähnten in ihrer Ansprache die Fläche bei Wetter – und zumindest ein Teil der Mitglieder stimmte ja auch für deren Herausnahme aus dem Plan. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle Spender, politischen Akteure und insbesondere Bürgermeister Spanka. Der Einsatz der letzten Wochen hat einen Achtungserfolg gebracht, der immer noch zum vollen Erfolg gedreht werden kann.