Windkraft vor Mellnau: Regierungspräsidium Gießen unterschlägt Fakten
Im September 2016 tagte der Ausschuss für Energie, Umwelt, Ländlichen Raum und Infrastruktur (EULI) der Regionalversammlung, um die letzten Vorbereitungen für den Teilregionalplan Mittelhessen abzuschließen. Der Plan regelt verbindlich die Platzierung von Windkraftanlagen in unserer Region. Zur Vorbereitung dieser Sitzung legte das Regierungspräsidium Gießen Steckbriefe der Windkraftflächen vor – darunter auch die Fläche für den Windpark Todenhausen-Mellnau.
Im Kern sagte der Steckbrief:
- Es gibt „zwei widersprüchliche örtlichen (Wind)Gutachten“, die „keiner Qualitätssicherung unterzogen worden“ seien, so dass weiterhin die Aussage der TÜV Studie entscheidend sei – wonach vor Mellnau also Wind wehen müsse.
- Außerdem sei „unklar“, ob auf der Fläche jemand Windkraftanlagen bauen möchte.
Die BI Windkraft Wetter hat den zuständigen Dezernatsleiter beim Regierungspräsidium, Dr. Ivo Gerhards, damit konfrontiert, dass beide Aussagen nachweislich falsch sind. Immerhin liegt ja ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts zur städtischen Windmessung vor. Und außerdem ist öffentlich bekannt, dass alle drei potenziellen Investoren schon vor über einem Jahr die Fläche aufgrund der ungenügenden Windhöffigkeit aufgegeben haben.
Regierungspräsidium erkennt Windgutachten nicht an
Auf den Fehler hingewiesen, wechselte der Dezernatsleiter seine Position. Das fehlende Umsetzungsinteresse wurde anerkannt, nun wiederrum wurde jedoch das Gutachten des Fraunhofer Instituts angezweifelt. Konkret fordert das Regierungspräsidium, dass das Gutachten „uneingeschränkt der 9. Revision der Technischen Richtlinie 6“ entsprechen müsse.
Wer hätte es gedacht? Auf Seite 5 des Fraunhofer-Gutachtens zur Windkraft vor Mellnau heißt es wörtlich: „Die in den geltenden Richtlinien, insbesondere der Technischen Richtlinie 6 Revision 9 (…) festgelegten Kriterien sind (in diesem Windgutachten) berücksichtigt.“
Was ist die 9. Revision der Technischen Richtlinie 6?
Am 22. September 2014 wurde die Revision 9 der Technischen Richtlinie 6 der Fördergesellschaft Windenergie (FWG) verabschiedet. Sie enthält umfangreiche Änderungen und Erweiterungen der bisher geltenden Anforderungen an Windgutachten. Insbesondere für Standorte in Lagen mit starken Höhenunterschieden gelten verschärfte Anforderungen. Viele unter den Bedingungen der Revision 8 durchgeführten Windgutachten erfüllen die Anforderungen der Revision 9 nicht oder nur in Teilen.
Welches Gutachten hat die Stadt Wetter vorgelegt?
Im September 2014 hat die Stadt Wetter das Ergebnis einer Windmessung beim Regierungspräsidium vorgelegt. Dabei handelt es sich um eine Windmessung der Firma anemos-jacob GmbH. Die Messung wurde zusammen mit einem Investor finanziert.
Die Messdokumentation selbst weist bereits im Vorwort darauf hin, dass Sie die Technische Richtlinie 6 Revision 9 berücksichtigt, lediglich die Messdauer von 12 Monaten sei nicht gegeben. Zu dieser zeitlichen Beschränkung führt das Ingenieurbüro in der Messdokumentation explizit aus: Die zeitlich beschränkte Messung auf dem Galgenberg wurde „über ein detailliertes und differenziertes Extrapolationsverfahren behoben; dies ist auch nach der TR 6 explizit zugelassen“ (sic!)
Im Oktober 2015 hat die Stadt Wetter noch ein Gutachten zur Windmessung vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) nachgelegt. Das Gutachten wurde auf Empfehlung des Regierungspräsidiums Gießen beim IWES beauftragt.
Bestandsschutz verdreht
Im vorletzten EULI-Ausschuss wurde im Beschluss DS VIII 102 beschlossen, dass für sämtliche Windgutachten uneingeschränkt die TR6 Revision 9 gilt. Dies bezieht sich insbesondere in Bezug auf den 12-monatigen Messzeitraum. Diesen 12-monatigen Messzeitraum erfüllt die Wetter’sche Messung nicht – was jedoch gemäß der geltenden Richtlinie völlig in Ordnung war (s.o.).
Gleichzeitig wurde auch ein Bestandsschutz für alle Windgutachten beschlossen, die bereits im Teilregionalplan zur Offenlage 2015 berücksichtigt wurden. Das Wetter’sche Gutachten wurde zwar vor der Offenlage eingereicht, aber nicht mehr für den Plan berücksichtigt! Es hat daher keinen Bestandsschutz – und da es den 12-monatigen Messzeitraum nicht erfüllt, gilt es nicht mehr.
Das Regierungspräsidium spielt falsch
Als sei das Katz-und-Maus-Spiel um Windgutachten und Denkmalschutz vor Mellnau nicht genug, kam kürzlich noch eine weitere Ungereimtheit ans Licht.
In einer Kleinen Anfrage an die Hessische Landesregierung vom 20.04.2016 erkundigte sich die FDP, „welche Gemeinden haben gegen aktuell in Planung befindliche Windvorranggebiete Einwendungen vorgebracht?“ Diese Frage beantwortete die Landesregierung am 12.7.2016 ziemlich detailliert. Namentlich wurden alle 69 Kommunen im Regierungsbezirk Gießen benannt, die Einwendungen vorgebracht hatten – die Stadt Wetter war nicht dabei.
Dass es sich dabei um einen Irrtum handelt, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Stadt hat ihre ablehnende Haltung schriftlich klar dem Regierungspräsidium dargelegt. Auch fand zwischenzeitlich ein gemeinsamer Termin von Stadt und BI beim RP statt – vom öffentlichen Diskurs ganz zu schweigen.
Es ist völlig offensichtlich: im Regierungspräsidium Gießen läuft in Sachen Windvorranggebiet 3105 (Todenhausen-Mellnau) einiges ziemlich schief!
Was ist jetzt zu tun?
Die politische Entscheidungsfindung ist zwar auf der Schlussgeraden, doch noch gibt es eine Alternative zur Klage.
Die Stadtverordneten in Wetter müssen vor der nächsten EULI-Sitzung am 2.11.2016 einen überfraktionellen Beschluss verabschieden. In diesem muss an die Regionalversammlung appelliert werden, die willkürliche Ungleichbehandlung der Windgutachten (s.o.) umgehend zu beenden. Falls dieser Bestandsschutz auch für das Wetter’sche Windgutachten erreicht wird, muss es berücksichtigt werden – und dann fällt die Fläche.
Klagen ist möglich
Sollte der Teilregionalplan trotz aller Einwände dennoch verabschiedet werden, bleibt den Stadtverordneten nur noch zu entscheiden, ob man das Gebaren des Regierungspräsidiums Gießen geduldig hinnimmt oder den Weg in die Klage geht.
Falls der Klageweg beschritten wird, stehen die Chancen für die Stadt gut:
- Die Behörde verschwieg ein hartes Ausschlusskriterium im Flächensteckbrief für den EULI-Ausschuss.
- Der EULI-Ausschuss hat eine völlig willkürliche Regelung zum Bestandsschutz von Windgutachten beschlossen, ohne erkennbaren sachlichen Grund.
- Die Planungsbehörde ignoriert den rechtskräftigen Windkraft-Ablehnungsbescheid der Oberen Denkmalschutzbehörde zum Schutz der Burg Mellnau.