Regierungspräsidium Gießen ändert seine Sicht auf die Windkraft

Am 29. April 2024 veröffentliche das Regierungspräsidium Gießen den Rundbrief 29 – und der war in Sachen Windkraft nicht weniger als ein Paukenschlag.

Die Rundbriefe des RP Gießen waren vor 15 Jahren das Mittel der Wahl, wenn die Behörde öffentlich über die Regionalplanung kommunizieren wollte. Und das tat sie durchaus aktiv. Zum Vergleich: im Gründungsjahr der BI Windkraft Wetter (2012) veröffentlichte das RP 6 Rundbriefe, wohlgemerkt in einem Jahr. Das Tempo flachte im Laufe der Jahre gewaltig ab, seit dem Jahr 2017 kommt kaum mehr als ein Rundbrief pro Jahr zustande. Und nun also ist es mal wieder soweit. Zeit, für eine Analyse.

Druck aus Berlin

Das Windenergieflächenbedardsgesetz (WindBG) und das Baugesetzbuch (BauGB) bringt laut dem Regierungspräsidium einen „planungsrechtlichen Paradigmenwechsel“ mit sich. Wir erinnern uns: da einzelne Bundesländer hart gegen Windkraft gemauert haben, sah sich die Bundesregierung gezwungen, im Sinne der Energiewende bundeseinheitliche Vorgaben bzgl. der Errichtung von Windkraftanlagen zu erlassen. Diese Regelungen kommen nun auch in Hessen an.

Für Hessen relevant, allerdings noch nicht kritisch, ist die Flächenvorgabe aus Berlin. Bis zum 31.12.2027 müssen 1,8 % der Landesfläche für Windkraft zur Verfügung gestellt werden. Bis zum 31.12.2032 steigt dieser Wert auf 2,2 %. Soweit sogut, zumindest die erste Hürde hat Hessen bereits laut Rundbrief 29 erreicht.

Eine weitere Neuerung jedoch hat es in sich: das Verbot der Schwarz-Weiß-Planung. Damit ist genau die Art von Planung gemeint, die im Teilregionalplan Energie Mittelhessen bisher betrieben wurde. Der Plan weist die Flächen aus, auf denen Windkraft möglich ist – und erklärt im selben Moment, dass auf allen anderen Flächen Windkraft nicht möglich ist.

Berlin ist dafür, Wiesbaden dagegen

Das Regierungspräsidium Gießen erklärt in seinem Rundbrief nun, dass die bisherigen Vorranggebiete weiterhin gültig bleiben und Windkraftanlagen dort mit „Verfahrenserleichterungen im Genehmigungsverfahren“ rechnen dürfen. Diese Feststellung ist zunächst einmal nicht überraschend, denn die Argumentation des RP war ja bisher stets sinngemäß: „weil wir die wichtigsten Kriterien auf diesen Flächen abgeprüft haben, kannst du als Bauherr davon ausgehen, dass da Windkraft grundsätzlich möglich ist.“

Außerhalb von Vorranggebieten können laut BauGB jetzt jedoch auch Windkraftanlagen errichtet werden, wobei speziell den Kommunen hier eine besondere Bedeutung beikommt. Jedoch weist das RP direkt darauf hin, dass „Windenergieanlagen außerhalb der dafür in den Teilregionalplänen Energie festgelegten Gebiete künftig planungsrechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig“ sind. Kurzum: die Behörde will nicht, dass auf einmal jeder macht, was er will.

Kriterien für unzulässige Windkraftgebiete

Um auch dem letzten klarzumachen, dass außerhalb der Planung des Regierungspräsidiums keinerlei Windkraft erwünscht ist, bringt es der Rundbrief Nummer 29 mit dieser Formulierung auf dem Punkt. Zitat:

So ist die Errichtung von Windenergieanlagen außerhalb der festgelegten Vor
ranggebiete zur Nutzung der Windenergie planungsrechtlich bereits unzulässig, wenn öffentliche Belange (z. B. Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes oder des Denkmalschutzes, die natürliche Eigenart der Landschaft sowie das Orts- und Landschaftsbild) lediglich beeinträchtigt werden. Näheres dazu ist in § 35 des Baugesetzbuches (BauGB) geregelt. Da die Errichtung einer Windenergieanlage in der Regel andere öffentliche Belange beeinträchtigt, sind nur wenige Fälle denkbar, in denen eine Errichtung außerhalb eines regionalplanerischen Vorranggebiets zur Nutzung der Windenergie ohne Weiteres möglich ist. Damit kommt die Rechtslage nach Erfüllung der Flächenbeitragswerte derjenigen sehr nahe, die bisher bei einer Schwarz-Weiß-Planung galt.

Rundschreiben Nummer 29/2024 des Regierungspräsidiums Gießen

Im Klartext steht hier: falls ein öffentliches Belang beeinträchtigt ist, ist die Errichtung der Windenergieanlage nicht genehmigungsfähig. Ein öffentliches Belang ist u.a. die Landschaftspflege, der Bodenschutz, der Denkmalschutz usw. Der letzte Satz des Zitats unterstreicht das nochmal, indem er sagt: die zukünftige Genehmigungslage wird faktisch so sein wie es die aktuelle Situation (mit der Schwarz-Weiß-Planung) noch ist.

Als sei dies nicht schon eindeutig genug, wiederholt die Behörde zwei Absätze weiter im selben Schreiben ihre Position, diesmal noch etwas pointierter.

Daneben sind bei einer kommunalen Windenergieplanung weitere Aspekte in den Blick zu nehmen, z. B. Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Schutzes des Orts- und Landschaftsbildes.

Rundschreiben Nummer 29/2024 des Regierungspräsidiums Gießen

Ja, wir haben es richtig gelesen: wenn die Kommune sich um eine Windenergieplanung bemüht, muss sie „weitere Aspekte“ in den Blick nehmen, unter anderem nämlich den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes.

Bedeutung des Rundbriefs Nummer 29 für Wetter

Dass das Regierungspräsidium nach dem Regierungswechsel in Wiesbaden seine Liebe zum Landschaftsbild und dem Denkmalschutz wiederentdeckt hat, ist eine spannende Wendung.

Wir erinnern uns: Im August 2014 wurdem dem Bauinteressenten ENO ein Ablehnungsbescheid des RP Gießen, aus dem hervorging, dass aufgrund des Denkmalschutzes der Burg Mellnau die geplanten Windenergieanlagen nicht erreichtet werden durften. Das heißt: die Denkmalschutzbehörde selbst wusste schon einmal von einer Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs. Dieser Belang (der Denkmalschutz) wurde dann im weiteren Verfahren abgeschichtet, was letztlich bedeutet, dass sich die Behörde entschied, dieses Problem zu ignorieren. Mit den nun publizierten Maßstäben hätte das Vorranggebiet 3105 Todenhausen-Mellnau jedenfalls nie in den Teilregionalplan aufgenommen werden dürfen.

Rundbrief 29 und das Klageverfahren der Stadt Wetter gegen das Land Hessen

Am 24. April 2023 erstattete der Verfahrensbevollmächtigte des Stadt Wetter, Rechtsanwalt Dr. Longo, im Bauausschuss der Stadt öffentlich bericht über den Stand des Klageverfahrens.

Darin kam zum Ausdruck, dass das zuständige Gericht überlastet sei. Auch bemerkte er, dass das Land Hessen bisher vom Gericht nicht zur Abgabe einer Erwiderung der Klageschrift aufgefordert worden sei. Aus Sicht der BI bedeutet das: Das Gericht hat zu viel zu tun und das Land Hessen hat kein Interesse an einer Entscheidung – denn grundsätzlich hat die Klage ja keine aufschiebende Wirkung. Eine Win-Win Situation, allerdings nicht für die Stadt.

Doch auch eine weitere Erkenntnis gab der Anwalt bekannt – nämlich was passieren würde, wenn die Stadt Wetter obsiegt:

Herr Dr. Longo verdeutlicht nochmal die möglichen Konsequenzen eines Obsiegens gegen das Land Hessen und den damit verbundenen Fall des TRPEM:

  1. Der Regionalplan müsste neu aufgestellt werden.
  2. Die Regionalversammlung stellt den Plan nicht neu auf und überlässt die Umsetzung der gesetzlichen Forderungen den Kommunen.
  3. Die Windkraft wird ausschließlich im Landesentwicklungsplan geregelt
    Wenn die Klage der Stadt erfolgreich verläuft besteht auf der gesamten Stadtfläche im Außenbereich Planungsrecht (unter Beachtung der Abstandsregelungen).
Protokoll Bauausschuss vom 24. April 2023

Hier kommt nun wieder Rundschreiben Nummer 29 ins Spiel. Durch den Hinweis darauf, dass jedwedes öffentliche Belang, was durch Windkraft beeinträchtigt sei, sofort zum Ausschluss der Genehmigung führt, hat sich die Behörde argumentativ sehr stark eingemauert. Formal dürfte sie sich dabei auf §35 Absatz 3 BauGB beziehen, faktisch muss man davon ausgehen, das hier auch eine politische Gewichtung mitschwingt. Denn: Ausschlusswirkungen gab es auch schon zur Aufstellung des Teilregionalplans Energie Mittelhessen – die jedoch haben die Behörde damals nicht davon abgehalten, das Vorranggebiet Todenhausen-Mellnau als geeignetes Gebiet zu erkennen.

Würde nun also der Regionalplan zu Fall gebracht werden, würde nach diesem Maßstab die Windenergie in Hessen erheblich ausgebremst werden. Das allerdings dürfte dazu führen, dass das Flächenziel bis zum Jahr 2032 nicht zu halten ist – was in der Konsequenz dann bedeutet, dass gemäß §249 Absatz 7 BauBG das Bundesland den Windkraft-Zubau dann nicht mehr über Regionalpläne steuern kann.

Fazit: der Wind dreht sich

Aus Sicht der BI Windkraft Wetter stellen sich die aktuellen Äußerungen des Regierungspräsidiums Gießen so dar: die Landesregierung hat sich entschieden, beim Thema Windkraft jedenfalls nicht aufs Gaspedal zu treten. Und die Landesregierung will sich außerdem auch nicht die Hohheit bei der Windkraftplanung aus der Hand nehmen lassen.

Für das Klageverfahren dürfte sich damit ein interessantes Zeitfenster geöffnet haben. War bisher zur Klage aus Wiesbaden lediglich „Funkstille“ angesagt, könnte es nun sein, dass Wetter mit seinem Anliegen auf mehr Gehör stößt. Zur Erinnerung: Wetter klagt nicht(!) wegen des Denkmalschutzes, sondern schlicht wegen der Tatsache, dass die Mindestwindgeschwindigkeit im Vorranggebiet Todenhausen-Mellnau durch Messungen bestätigt niedriger ist, als im Landesentwicklungsplan vorgeschrieben ist.

Am Kernargument der Stadt Wetter hat sich nichts geändert. Jedoch: durch die Argumentation des Landes hingegen (siehe oben), führt eine Behörde des Prozessgegners nun auf einmal Maßstäbe unter anderem im Bereich Denkmalschutz ein, die auf der gegebenen Fläche schlichtweg nicht zu halten sind.

Durch die Kippung des Schwarz-Weiß-Verbots kommt zusätzliche Dynamik auf. Denn klar ist: würde der Teilregionalplan fallen, muss das Land damit rechnen, dass dann für besonders windhöffige Standorte Genehmigungsanfragen kommen werden – und zwar unabhängig davon, ob dort bisher Vorrangflächen waren oder nicht. Würden diese allesamt abgelehnt werden (wir erinnern uns: das RP hat sich argumentativ eingemauert), wäre die darauf folgende Klagewelle gewaltig.

Dieser Hebel könnte letztlich dazu führen, dass eine Einigung mit dem Land möglich wird. Und für die Klage selbst ist die aktuelle Entwicklung ebenfalls kein Nachteil.

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